Wann wird elektrischer Strom für den Menschen gefährlich?

In allgemein bildenden Schulen wird uns gelehrt, dass die Gefährlichkeit eines Stromschlages von der Stromstärke abhängig ist, der man währenddessen zwangsläufig ausgesetzt ist. Doch warum ist der Griff an die Elektroden eines Lichtbogenschweißgeräts mit knapp 100 Ampere dann ebenso ungefährlich wie sich einer elektrostatischen Entladung von ca. 30000 Volt auszusetzen?

Spannung oder Stromstärke?

Irrtümlicherweise wird die Spannung oft als alleiniges Merkmal herangezogen, wenn es um die Beurteilung der Gefahr geht, welche von einem stromdurchflossenen Leiter ausgeht. Da man diese Behauptung mittels der elektrostatischen Entladung zum Beispiel auf Teppichen (bei etwa 30kV) einfach widerlegen kann, wird auch vermehrt davon ausgegangen, dass ja dann die Stromstärke als Kriterium herhalten muss. Was passiert also, wenn ich die Elektroden eines Lichtbogenschweißgeräts (ca. 100A) anfasse?

Überhaupt nichts. Warum das so ist und wovon die Gefährlichkeit eines elektrischen Schlags abhängt, soll im Folgenden geklärt werden.

Spannung

Der wesentliche Kerngedanke der Antwort auf die ganze Fragerei ist die Berücksichtigung des Körperwiderstandes. Der Körperwiderstand wird in der Literatur beim Menschen mit im Durchschnitt 1000 Ohm angegeben. Dabei ist der Widerstand natürlich von verschiedenen Faktoren abhängig, zum Beispiel der Hautbeschaffenheit oder dem Feuchtigkeitsgehalt der Haut. Unser Körper ist nämlich so lange ein Isolator, bis der Körperwiderstand von ca. 1kΩ nicht mehr ausreicht, um beispielsweise von einer Anode der rechten Hand den Stromfluss zur Kathode in der linken Hand zu unterbinden. Aus diesem Grund hat die VDE folgende Richtlinien in Deutschland festgelegt:
Die maximale Berührungsspannung liegt bei 50V AC sowie 120V DC (mehr zu AC/DC folgt).

Das ist auch der Grund, weshalb man auch bei noch so großer Stromstärke im Optimalfall (trockene Haut, kein Metallschmuck, …) bei Spannungen unter der angegebenen Grenze davon überhaupt nichts mitbekommt. Während ein zwischen die Pole geklemmter Draht an einer Autobatterie dank dem verhältnismäßig hohem Kurzschlussstrom sofort verglühen würde, könnte man beide Kontakte gefahrlos anfassen (wobei man dies möglichst unterlassen sollte).

Stromstärke

Pauschal lässt sich über die letale Stromstärke keine eindeutige Antwort finden, jedoch werden als Grenze ca. 10mA AC und 300mA DC angesehen, wobei bereits vorher unkontrollierbare Muskelkontraktionen inklusive lebensbedrohlichem Kammerflimmern des Herzens sehr wahrscheinlich auftreten können. Der große Unterschied zwischen Gleich- und Wechselstrom kommt daher, dass bei einem Gleichstromunfall dem Körper ein konstanter Reiz zugeführt wird, während bei standardmäßigem Wechselstrom mit 50Hz die Muskeln 100 Mal pro Sekunde gereizt werden. Eine besondere Gefahr stellt auch die sog. „Loslassschwelle“, welche bei 10mA AC liegt, dar. Durch eine Verkrampfung der Muskeln (besonders der stärker ausgebildeten „Beuger“) ist ein Loslassen des Leiters nicht möglich, was die Einwirkzeit noch zusätzlich verlängert.

Werden geringe Spannungen von etwa 9V oder 12V auf mehrere Kilovolt hochtransformiert, so ist durch den Trafo bedingt die Stromstärke am Ausgang so gering, dass sie einen Menschen nicht lebensbedrohlich schaden kann (bspw. Elektroschocker, Weidezaun, …). Die kurze Einwirkdauer zwischen 1ms und 100ms begünstigt dies zusätzlich. Was folgt ist dann der klassische „Stromschlag“, der sich wie eine Art schmerzhafter Schock bemerkbar macht.

Zusätzliche Gefahren des Wechselstroms

Legt man die man die Fakten der Gefahr, ausgehend von Gleichstrom (DC) und Wechselstrom (AC) dar, so könnte man meinen, dass Gleichstrom in der Summe ungefährlicher als Wechselstrom ist. Allerdings gehen vom Wechselstrom lediglich einige besondere Gefahren aus.

Da wären zum einen die Loslassschwelle, die beim Gleichstrom nicht vorhanden ist, bei einem Wechselstromunfall aber dazu führt, dass der stromdurchflossene Leiter nicht losgelassen werden kann. Außerdem sorgt die schnell wechselnde Polarität dafür, dass die Ionen in den Ionenkanälen ständig einem abwechselnd positiven und negativen elektrischen Feld ausgesetzt sind. Dies bleibt natürlich nicht ohne Folge für die Muskeln, welche von den Ionenkanälen gesteuert werden, schon gar nicht für den Herzmuskel.

Wie oft die Polarität pro Sekunde wechselt wird als Frequenz angegeben, für gewöhnlich hat unser Wechselstrom aus der Steckdose eine Frequenz von 50Hz. Die Frequenz kann, bezogen auf die Gefährlichkeit des Stromschlags, eine entscheidende Rolle spielen: Je höher die Frequenz nämlich ist, desto mehr macht sich der sog. Skin-Effekt bemerkbar. Das bedeutet, dass bei hochfrequentem Wechselstrom an der Oberfläche, durch entstehende Wirbelströme bedingt, eine (exponentiell) höhere Stromdichte vorliegt, als im Inneren des Leiters. Im Umkehrschluss und auf den menschlichen Körper bezogen heißt das, dass das Gewebe kaum stromdurchflossen wird, während das elektrische Feld fast vollständig auf den obersten Hautschichten (an der Oberfläche) abgeleitet wird. Da die Haut ja als verhältnismäßig guter Isolator fungiert, bleibt ein solcher Stromunfall, wie beispielsweise durch einen überspringenden Lichtbogen verursacht, für den Menschen ohne Folgen.
Ab etwa 100kHz – 300kHz führt der Strom zusätzlich zu keinem Polaritätswechsel in den Ionenkanälen mehr, da die Ionenleitungen schlicht zu träge sind, um solch schnellen Wechseln der Polarität zu folgen. Nur so kann beispielsweise das Anfassen der Lichtbögen einer Teslaspule ungefährlich bleiben.

Auswirkungen eines Stromunfalls

Wie wir nun wissen ist die Stromstärke bei einem Stromunfall eher zweitrangig. Erst wenn die Spannung die jeweilige Berührungsspannung übersteigt, ist der Körperwiderstand überwunden und ab diesem Zeitpunkt entscheidet die Stromstärke über Leben und Tod. Das hängt natürlich auch davon ab, welchen Weg der Strom im Körper nimmt bzw. wo Eintritts- und Austrittspunkt sind oder ob man geerdet ist.

Ist der Körperwiderstand erstmal überwunden, werden voraussichtlich die Muskeln als erstes einen „Schlag“ erfahren, bei Wechselstrom greift zusätzlich schon bei geringer Stromstärke die Loslassschwelle. Das wiederum kann bei einer Verkrampfung des Zwerchfells Atemstillstand zur Folge haben oder wenn der Strom über das Herz geleitet wird, auch Herzkammerflimmern als Langzeitfolge, da das Herz kurzzeitig gezwungen wird, sich an die schnelle Frequenz anzupassen. Wichtig ist zusätzlich die Einwirkdauer des Stroms, ist man diesem „längere“ Zeit ausgesetzt, könnten noch weitere Effekte wie die Gasbildung in den Blutbahnen durch Elektrolyse des Blutes auftreten. Dadurch dass der Körper auch bei überwundenem Körperwiderstand noch immer als Widerstand fungiert, wird außerdem nicht gerade Wenig Leistung an diesem Abfallen, was sich in Form von starken Erwärmungen besonders an den Ein- und Austrittsstellen bemerkbar macht und insbesondere dem Gewebe durch innere Verbrennungen schadet.

Letztendlich nehmen also Spannung, Stromstärke und eventuell die Frequenz am meisten direkten Einfluss darauf, wie gefährlich elektrischer Strom für den Menschen ist. Zusätzlich können die Umgebungsbedingungen den Ausgang eines Stromunfalls drastisch beeinflussen.

Quellen

~ Marcus