Wer aktuell nach „Rizin“ googlet, wird gewissermaßen mit Nachrichten bezüglich der jüngsten Vorfälle in Amerika eingedeckt. Angeblich sollen dem Präsidenten Obama und einem Senator Briefe von unbekannter Herkunft erreicht haben, die das Gift Rizin in pulverisierter Form enthielten – doch ist auf diese Weise bereits ein Mordattentat möglich?
Geschichte des Rizin
Allgemeine Bekanntheit erlangte Rizin bereits 1978 mit dem berüchtigten „Regenschirmattentat“. Hierbei wurde dem bulgarischen Schriftsteller Georgi Markow, wohlmöglich im Auftrag den bulgarischen Geheimdienstes, 40 Mikrogramm Rizin injiziert, was drei Tage später zum Tod des Opfers führte.
Dass bei den auftretenden Symptomen wie Fieber, Durchfall und Blutdruckabfall (und später Herzstillstand) niemand Rizin als Ursache sah, ist nicht verwunderlich. Doch selbst wenn, wäre jede Hilfe zu spät gekommen: Bis heute gibt es kein wirksames Antidot gegen eine Vergiftung mit Rizin.
Vorfinden lässt sich das Gift in des Samen des Wunderbaums. Diese Pflanze lässt sich besonders in den tropischen Klimazonen vorfinden und wird unter anderem dazu genutzt, um Rizinusöl zu gewinnen, welches eine abführende Wirkung besitzt und frei erhältlich ist. Es wird aus den Rizinussamen gepresst, enthält jedoch kein Rizin, weil das Gift nicht fettlöslich ist. Da bereits 22µg pro Kilogramm Körpergewicht als mittlere letale Dosis angenommen wird (andere Quellen berichten sogar von nur ca. 3-5µg), gelten schon wenige Samen (etwa 1-5) als tödlich.
Wirkung
Biochemisch gesehen ist Rizin ein pflanzliches Eiweißgift und stellt dank seiner Funktion im Körper ein besonderes Gefahrenpotential dar. Rizin verhält sich im Körper bzw. in der Zelle wie ein körpereigenes Enzym. Doch was ist die Aufgabe von Enzymen?
Enzyme (ein gesonderter Artikel zu Enzymen folgt in Kürze) sind besondere Proteine, welche die Aufgabe im Körper haben, bestimmte Reaktionen zu katalysieren, also zu begünstigen, oder gar erst zu ermöglichen. Dabei bestehen Enzyme in der Regel aus einem aktiven Zentrum, wo das passende Substrat umgesetzt wird und einem allosterischen Zentrum, an welches sich spezielle Moleküle binden können, zum Beispiel um das Enzym in seiner Tätigkeit zu hemmen oder zu aktivieren.
Rizin besteht als Protein selbst nun aus zwei gesonderten Teilen. Nachdem der eine Teil seine Aufgabe, an die Zelle anzudocken und den zweiten Teil ins Cytoplasma, also das Innere der Zelle, einzuschleusen erledigt hat, tritt nun dieser in Aktion.
Folgendes Szenario ist demnach für die außerordentliche Giftigkeit von Rizin verantwortlich: Es gelangt zum Ribosom, einer Zellorganelle, welche für die Proteinbiosynthese zuständig ist und spaltet dort die Base Adenin von der RNA ab. Die RNA ist sozusagen der Bauplan für Eiweiße, welche im Ribosom hergestellt werden. Wie es für Katalysatoren üblich ist, werden diese bei der Reaktion nicht selbst umgesetzt, sodass ein Molekül Rizin von neuem beginnt und die gesamte Zelle lahmlegen kann, da die Proteinbiosynthese mit der Zeit nicht mehr ordnungsgemäß funktionieren kann.
Ribosomen finden sich in sämtlichen eukaryotischen Zellen – genug Angriffsfläche für das Gift ist also vorhanden.
Gebrauch als Biowaffe
Geschätzt wird Rizin bei Attentaten nicht nur wegen seiner Wirkung, sondern auch, weil es sich schwer nachweisen lässt. Nachweisen lässt sich Rizin in forensischen Untersuchungen durchaus – nur sind Rizinvergiftungen nicht allzu üblich, bei Symptomen wie Fieber und Durchfall würde wohl auch ein Arzt zuerst auf eine gewöhnliche Magen-Darm-Grippe oder ähnliches tippen.
Dadurch, dass die Aufnahme von Rizin nicht nur oral, sondern auch nasal oder über die Haut resorbiert erfolgen kann, lassen sich keine pauschalen Symptome festlegen, an denen man eine Rizinvergiftung ausmachen kann. Denn je nach Applikationsweg sind unterschiedliche Zellen betroffen, deren Fehlfunktionen sich mit verschiedenen Symptomen auf die Vergiftung auswirken.
Medizinische Bedeutung
Wirklich von Belang ist die Tatsache, dass eine Rizinvergiftung oft erst post mortem, wenn es leider bereits zu spät ist, festgestellt wird nicht, denn auch wenn eine solche Vergiftung rechtzeitig erkannt wird, muss das Opfer in wenigen Tagen nach der Verabreichung einer tödlichen Dosis unweigerlich sterben, da es derzeit kein Gegengift auf dem Markt gibt.
Verfügbar sind heute Gegenmittel, die eine Vergiftung verhindern können, sofern diese vor der Rizinaufnahme verabreicht werden. Allerdings ist die Forschung zurzeit bereits in der Lage zu wissen, dass das Protein Gpr107 in der Zelle ein Ansatzpunkt für Rizin ist, bevor es seine toxische Wirkung entfaltet; es ist also direkt daran beteiligt. Weil Zellen ohne besagtem Protein eine Immunität gegenüber Rizin aufweisen, liegt es auf der Hand, dass der Wirkstoff eines neuartigen Gegenmittels ein „kleines Molekül“ sein wird, welches als Inhibitor wirkt, also die Funktion des Proteins Gpr107 hemmt bzw. es gänzlich deaktiviert.
Im Gespräch ist Rizin derzeit als experimentelles Antibiotikum gegen Krebs – sofern es möglich wäre, dass sich das Eiweißgift, zum Beispiel wie die neuartigen Endiin-Antibiotika, gezielter triggern ließe, sodass ausschließlich Krebszellen von Rizin zerstört werden.
Unberechtigtes Medieninteresse?
Außer dem populären Regenschirmattentat sind nur noch eine Handvoll weiterer Vergiftungen mit Rizin bekannt, bei denen die meisten nicht als Mordfälle eingestuft werden können, da die Vergiftung durch die Samen des Wunderbaums durch Unachtsamkeit selbst zugezogen wurde. Rizin ist also wirklich kein Mordgift, das man überall zu fürchten hättte.
Rizinusschrot dagegen ist nach fachgerechter Verarbeitung ein zugelassenes Düngemittel und der Rückstand, der bei der Rizinusölproduktion zurückbleibt. Er enthält also das Eiweißgift Rizin. Da Eiweiße bei Hitze denaturieren, soll der Dünger auf diese Weise unschädlich gemacht werden, was aber nicht immer gelingt. Vor noch nicht allzu langer Zeit erlitten einige Hunde eine tödliche Rizinvergiftung, da sie versehentlich vom fehlerhaft verarbeiteten Dünger gegessen hatten.
Quellen
~ Marcus